Abiturrede 2002
Thomas-Mann-Gymnasium

Stefan Schaller, Tobias Schiergens

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Liebe Eltern,
Verehrte Schulleitung,
Verehrte Lehrerinnen und Lehrer!

Nach 9 Schuljahren, 333 Schulwochen, 1666 Schulstunden, 449 955 Schulminuten oder 26 997 300 Schulsekunden mehr oder weniger harter Arbeit halten wir nun bald unsere Belohnung in Händen: Das Abiturzeugnis. Jahr für Jahr haben wir uns mit Schulaufgaben, Exen und mündlichen Prüfungen geplagt, am Ende standen noch einmal vier Abiturprüfungen an. Jetzt liegt alles hinter uns und wir harren des nächsten Lebensabschnitts der da auf uns zukommen muss und wird.

Stopp! Nicht einschlafen! Bitte nicht denken: "Gleich sind sie fertig und es gibt was zu trinken, es ist doch sowieso jedes Jahr das Gleiche!"

Wozu eigentlich diese Abiturrede? Glauben Sie, ein Abiturient hat nach 13 Jahren Schule das gesteigerte Bedürfnis, wenigstens am Schluss seiner Laufbahn noch einen Kommentar abzugeben? Die eigene Meinung hat wohl jeder, doch hält er sie selten für wichtig genug, als dass sie in einer solchen Rede Gewicht oder Platz hätte. Wobei wir schon beim Punkt wären. Was ist eigentlich Abitur? Der Herausgang. Aus der Schule oder der schulverschuldeten Unmündigkeit? Wir sollten es eigentlich geschafft haben, zumindest sagt uns das unser Zeugnis, was wir noch heute in Händen halten werden.
Haben wir hier Mut zu Individualität, Subjekthaftigkeit und dazu, sich selbst zu leben und zu vertreten gelernt? War und ist das überhaupt möglich? Und was ist mit denen, die jetzt nicht so weit sind? Werden sie nun am Ende ihrer Schulzeit ins kalte Wasser geschmissen, müssen sie jetzt die Stätte verlassen, die es ihnen so einfach gemacht hat, auch ohne selbstständiges und selbstbestimmtes Arbeiten über die Runden zu kommen? Bedeutet für sie dann das Abitur nur die Entlassung in eine weitere Unmündigkeit des Ausbildungs- oder Berufslebens, das ja selbst auch nur allzu oft Abhängigkeit fördert, sowie die einzelne Person vernachlässigt?

War es nicht oft so, das sich viele unserer Lerninhalte auf Vergangenes bezogen und die Diskussion über die richtige Einschätzung des Themas bereits im Lehrbuch abgeschlossen war? Kann es überhaupt einem Lehrer gelingen, den Stoff lebendig und offen zu vermitteln? Wurde nicht gerade in den Klausuren oft deutlich, wie determiniert unsere Bildung manchmal war und ist, dass es ja und nein eben doch gibt? Zeigt sich das auch in der Bewertung?
Ist es sinnvoll, zu Beginn der K 12 mit einem Tablett mit 840 jungfreulichen Punkten zu starten? Was am Ende noch oben liegt, bestimmt unsere Zukunft, wird in eine magische Zahl mit Komma umgerechnet. Kann das unserer Person, unserem Status als unteilbarem Menschen in freier Selbstbestimmung entsprechen? Wer hat das Recht, unser Tablett zu leeren, nach welchen Regeln geschieht das und haben wir immer versucht, so sicher wie möglich zu laufen, damit ja kein Punkt herabfällt?

Wie kann nun das Ziel unserer individuellen und mündigen Selbstverwirklichung erreicht werden, wenn Charaktere eben deswegen teilweise im Verborgenen bleiben, weil sie im Unterricht selten aufeinanderprallen können, so dass oftmals nur schwer Gemeinschaft entstehen kann?

Die Antwort darauf findet sich bei den Abiturientinnen und Abiturienten, aber auch unseren Lehrerinnen und Lehrern.
Mal gelang es, diese Hürden der Orthodoxie und pädagogischen Erstarrung zu überspringen. Manchmal blieben wir hängen und fielen auf die Nase.
Es hat nicht unbedingt an Lehrern gemangelt, die wirklich versucht haben, uns die Bildung für die spätere Ausbildung auf gemeinschaftliche und menschliche Weise zu vermitteln. Mit "menschlich" sind durchaus nicht Geschenke gemeint, vielmehr das Gefühl, sowohl Teil eines funktionierenden Ganzen zu sein, als auch sich selbst zu finden und zu werden. Dazu gehört, gefordert, aber eben auch gefördert zu werden. Ein durchaus probates Mittel für Bildung und Menschsein! Es gibt eben nichts wichtigeres, als neben dem Stoff auch ein Gespür für soziales und gerechtes Verhalten vorbildhaft dem Schüler zu vermitteln. Denn: Von Seiten der Lehrer war und wird es immer ein mangelhaftes Verhalten sein, das konforme Pensum an Stoff, Arbeit, Arbeiten, Noten und Kalauern unter die Schüler zu bringen bzw. von Seiten der Schüler, dies widerspruchslos und ohne konstruktive Kritik über sich ergehen zu lassen. Das heißt im Klartext, Verantwortung für andere oder sich selbst zu verschlafen oder zu ignorieren. Aber wo bleibt hier der konstruktive Widerspruch der Schüler: Er fehlt auch leider zu oft.
Insgesamt sind und waren wir doch recht zufrieden mit unseren Freunden aus dem Lehrerzimmer, denen zu keiner Sekunde der gute Wille abgesprochen werden kann und bei denen wir uns für ihr Engagement bedanken.

Und so haben wir es doch geschafft, innerhalb von all den Jahren zu einer Art Gemeinschaft zusammenzuwachsen, ohne übermäßige Cliquenbildung oder Anfeindungen, was Ihnen hoffentlich unser Abifest, der Abifilm und die Abizeitung beweisen werden.
Das lag auch daran, dass wir es durchaus nicht an gemeinsamen Feiern fehlen ließen: Ob die Facharbeitsfeier, das Fest an der Isar oder die Abifahrt, dies alles trug zum Zusammenwachsen unseres Jahrgangs bei. Manchmal hatte man auf diesen Festen das Gefühl, den anderen von einer neuen Seite kennen zu lernen, von der man ihn in der Pause oder im Unterricht noch nicht kennen lernen durfte.


Da mit dem heutigen Tage unsere Schulzeit und sogar ein ganzer Lebensabschnitt endet, wird uns nun immer mehr bewusst, dass wir Vergangenes leider nicht mehr zurückholen können, jeder Moment unschätzbar wertvoll war und wir deshalb alle noch einmal richtig zusammen feiern sollten. Deshalb scheint es uns auch verfehlt, hier und heute über unsere berufliche Zukunft zu philosophieren, da diese Tage den Erinnerungen an die wunderbaren Jahre unserer Schulzeit gewidmet sind.
Wir alle hoffen, dass wir uns ab und zu wiedersehen und dass sich viele unserer Freundschaften erhalten lassen und wir uns nicht aus den Augen verlieren.


Zum Schluss bedanken wir uns bei unseren Kollegstufenbetreuern Frau Haase und Herr Müller und wünschen beiden alles Gute, vor allem aber Frau Haase, die die Schule am Ende des Jahres verlassen wird. Unsere Nachfolger werden nicht in den Genuss ihrer guten Arbeit als Kollegstufenbetreuerin kommen dürfen.


Der Abiturjahrgang 2002 verabschiedet sich hiermit vom Thomas-Mann-Gymnasium!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Ó Tobi Schiergens